Vom 16. bis 18. April fanden die Aufnahme Sessions zu dem neuen Album von Pee Wee Ellis in Köln statt. Kaum waren die letzten Schneereste vom vergangenen harten Winter endlich weg und die ersten Frühlingsboten eingezogen, hiess es für den amerikanischen Saxophonisten und seine 9 Mitmusiker aus Amerika und Europa noch einmal den Gang rückwärts schalten und sich auf Weihnachtsstimmung einzugrooven. Aber bei heißen Gospelsongs und herzerwärmenden Neuauflagen von Weihnachtsklassikern wie Rudolph, The rednosed Reindeer kam die allgemeine gute Arbeitslaune, mit der alle Beteiligten ans Werk gingen, schnell zu grandiosen Resultaten.
Es gibt ziemlich viele Risiken, denen sich ein Musiker in seinem Geschäft aussetzen kann. Ein abrupter Stil- oder Genrewechsel zählt dazu, der Entschluss, das vormals akustische Instrument fortan mit Elektrizität zu versorgen ebenso wie auch in den Achtzigern der Übergang vom Analogen zum Digitalen. In manchen Fällen genügt sogar eine neue Frisur. Das größte Wagnis allerdings, zumindest jenseits glatt polierter Produktionen für ein TV-Publikum, war, ist und bleibt die Aufnahme einer Weihnachtsplatte. Zwar zählt Wham’s „Last Christmas“ zu den erfolgreichsten Songs des Duos, aber eben auch zu seinen meist gehassten. Und als Jimi Hendrix einst „Little Drummer Boy“ einspielte, traute man sich die Single lediglich gratis an die Mitglieder seines Fanclubs zu schicken.
Von jeder Regel indes gibt es rühmliche Ausnahmen, und eine solche hat jetzt Pee Wee Ellis von der kühnen Idee in die erfreuliche Tat umgesetzt. Auf seinem neuen Album „The Spirit Of Christmas“ bündelt der Amerikaner ein gutes Dutzend weitgehend bekannter, aber so noch nie gehörter Weihnachtslieder zu einem Strauß, an dem sich endlich mal keine kitschigen Christbaumkugeln mit trompetenden Engelchen um die Wette anwidern. Ellis war schließlich nicht jahrelang das Rückgrat der James Brown Horns und danach weltweit gefeiertes Synonym für ’the real funky tunes’, um jetzt, mit 72 Jahren, einfach mal ohne Grund sentimental zu werden. Wenn Ellis Weihnachten feiert, muss sich der Christbaum gemeinsam mit dem Weihnachtsmann vor der tanzenden Meute in Acht nehmen. Sofern Santa Claus nicht längst den falschen Bart in die Zweige gehängt hat und mittanzt.
Um zu verstehen, weshalb Pee Wee Ellis’ „The Spirit Of Christmas“ das mehr als nur etwas andere Weihnachtsalbum ist, muss man wissen, woher dieser erstaunliche Saxophonist eigentlich kommt und wer ihm auf seinem Weg an die Spitze alles die Hand gereicht hat – ob nun als Helfer oder Danksagender. Ohne Pee Wee hätte es den Godfather of Funk, hätte es James Brown zumindest im aufregenden Sound der Sechziger niemals gegeben. Ellis war zwar nominell neben Maceo Parker und Fred Wesley nur ein Drittel der mittlerweile legendären JB Horns, betätigte sich aber maßgeblich und im Unterschied zu den zwei Kollegen auch als Songwriter und Arrangeur des einmaligen Trios. Dank seiner Person wurde die Brass Section erstmals vom Vehikel für mehr oder weniger inspirierte Soli zum wichtigsten Teil der Rhythm Section, vor dem James Brown seine artistischen Scats vollführte. Wenn Pee Wee blies, geriet JB in Ekstase.
Ein Satz, von dem aus man nicht allzu leicht in die Weihnachtsstimmung zurück findet. Es sei denn, diese ist so klar als amüsant und feierfroh definiert, wie Ellis dies auf seinem neuen Album unumwunden tut. Nehmen wir nur ein Stück wie „Funky Merry Christmas“, dem allein vorzuwerfen wäre, dass es mit knapp drei Minuten ungefähr eine Viertelstunde zu kurz geraten ist. Dennoch versammelt es demnächst vielleicht ganze Familien zum leicht frivolen Tanz vor dem Gabentisch. Und „Last Christmas“ kühlt Pee Wee so charmant wie clever auf halbes Tempo herunter, dann nämlich passt es wieder zu Kerzenlöschen und letztem Griff in den bunten Teller kurz nach Mitternacht.
An die wohlbekannte Ansage der JB Horns in jedem Konzert, man werde jetzt „zwei Prozent Jazz und 98 Prozent funky music“ spielen, hält sich Ellis mit „The Spirit Of Christmas“ zwar nicht ganz, Blues, Jazz und Gospel übernehmen jedoch auch keine Hoheit. Zudem hat sich der Maestro einige wunderbare Stimmen zur Jahresendfeier geladen: Lisa Bassenge besingt neben ihm die „Stille Nacht“, weitere vokale Highlights setzen Peter Fessler, Lillian Boutté und Clare Teal. Die stärksten Stimmen aber bleiben Pee Wee Ellis’ in diesem Falle zumeist sehr sanft geblasenes Saxophon und die Finesse seiner Arrangements. Mal erwartet man hinter der nächsten Ecke einen kreischenden James Brown, dann wieder würde man sich über einen sanftmütigen Dean Martin weniger wundern.
Wenn Pee Wee Ellis im Monat Dezember mit seiner ersten (und hoffentlich nicht letzten) X-Mas-CD auf Tour geht, wird er dem Heiligen Fest einen ganz und gar neuen Soundtrack schenken. Und endlich einmal erstrahlt das höchste Christenfest dann nicht in schummrigem Kerzenlicht, sondern wird illuminiert wie eine Funky Night in New Orleans, bei der man sich erst am nächsten Morgen der Tatsache bewusst wird, zum Zeugen einer wirklich einzigartigen Party geworden zu sein. Weihnachten 2013 könnte zur Feier des Jahrzehnts werden. Wofür niemandem sonst als Pee Wee Ellis auf die Schulter zu klopfen wäre.