AUDIO Juli 2014: Klangtipp: „eine hochfeine Produktion des Wahl-Berliners.“
„Intro Da Vida“. Hinein ins Leben. Eintauchen. Unvoreingenommen. Allein sich der Magie des Augenblicks hingeben – mit dem Wunsch, dieser Magie eine Gestalt zu verleihen, sie in eine Sprache zu transformieren.
Peter Fessler ist einer dieser beseelten Sänger und Songschreiber, denen das auf wunderbare Weise immer wieder gelingt. Und es erscheint fast folgerichtig, dass er im Laufe seiner beachtlichen Karriere inzwischen seine ganz eigene Sprache daraus entwickelt hat. Das „Fesperanto“.
Hier handelt es sich um eine Klangmalerei, wie sie nur ein Peter Fessler erschaffen kann: Wehmut, die nicht lähmt. Heiterkeit, die immer aber auch ein paar Tränen mit sich führt. Das alles wird getragen von einem Sound, der seine Inspirationsquelle, den eleganten Bossa Nova des Gitarristen Baden Powell nie verleugnet, und einen ebenso aufs Wesentliche reduzierten Gesang, der ohne Worte und Reime auskommt, sondern rein aus Lauten, Wortfetzen und atmosphärisch eingesetzten Tönen erwächst.
Die Essenz des „Fesperanto“ ist Fesslers Konzertbesuchern seit Jahren vertraut. Wann immer er improvisiert und die vorgegebenen Textzeilen variiert oder auch ganz verlässt, begibt er sich in diesen vokalistischen Trancezustand. Die Zusammenhänge zwischen Text und Musik werden aufgelöst, Fessler selbst zum Resonanzboden mit den unglaublichsten Tönen und Wendungen, die aber nie effektheischend daherkommen. Es ist pure Emotion, und Fessler ist das Instrument.
Mit den zwölf Arrangements auf „Intro Da Vida“ vollendet Peter Fessler diesen Reifungsprozess. Mehr Fessler geht nicht. Nur Gitarre und Stimme. Diese schwören vieldeutige Bilder herauf, verdichten sich zu einem Fluss aus schwebenden Samba und Bossa Nova, unbändigem Jazz und kitschfreier Romantik. Selbst Franz Schuberts Serenade „Ständchen“ fügt sich ins Gesamtbild und verströmt die Entspanntheit eines zu Ende gehenden Tages, während man das Aroma aus Meeresbrise und tänzelnden Sonnenstrahlen einzuatmen glaubt. Das kann der Strand von Rio sein, aber genauso gut ein Sehnsuchtsort, der viel Raum für Assoziationen bietet. Es sind vielstimmige, raffiniert getupfte „Aquarellas“ , so einer der Songtitel, in denen Fessler seine Seele freilegt.
„Ich kann nicht von Liebe schreiben, nicht so, dass es Dich trifft. Es würde die Liebe vertreiben“, singt Fessler in dem Stück „Ein Liebesgedicht“, verfasst von Miriam Frances und aufgenommen vor vier Jahren auf seinem deutschsprachigen Album „Das mit dir“. Und weiter: „Die Worte, die mir fehlen, sind nirgendwo zu stehlen, aus keinem ABC.“ Es ist nur konsequent, dass Fessler jetzt noch einen Schritt weitergeht und die Sprache nun mehr bei sich selbst stiehlt. Dabei kann er sich ganz auf seine Intuition verlassen – und eine schöpferische Musikaliät, die sich über all die Jahre weiter angereichert und verfeinert hat.
Der weit gereiste, gebürtige Kölner (der nun in Berlin zuhause ist) hat seine Kunst auf inzwischen mehr als einen Dutzend Alben unter Beweis gestellt, und er ist on stage ohnehin eine Klasse für sich. Er ist nicht nur Deutschlands einziger Jazzmusiker mit einem Welthit („New York, Rio, Tokio“). Auch Fesslers Stimme, die vier Oktaven unfasst und durch ihre hypnotische, unerschütterliche Geschmeidigkeit besticht, hat international eine Anerkennung gefunden, wie sie hierzulande selten ist (wo das musikalische Schubladendenken leider noch immer vieles nicht zur Entfaltung kommen lässt).
Zuletzt ist Fessler mit dem Souljazz-Maestro und Ex-James-Brown-Mitstreiter Pee Wee Ellis auf Tour gewesen, und er hat bei seinen Solo-Konzerten auf Musikfestivals in Brasilien erlebt, wie er mit offenen Armen und Ohren empfangen wird. So pflegt Fessler, der längere Zeit auch in den USA gelebt hat, viele musikalischen Freundschaften und schätzt die „Quality Time“, die er aus diesen Begegnungen zieht. Treffenderweise ist das auch der Titel eines Albums, das Fessler jüngst mit dem US-amerikanischen Pianisten Don Grusin eingespielt hat.
Was gilt der Prophet im eigenen Land? Peter Fessler stellt sich diese Frage nicht. Glücklicherweise ist er nicht nur ausdauernd, sondern auch jemand, der in seiner Musik eine radikale Unabhängigkeit lebt. Und der zu seinem Publikum – auch das eine Kostbarkeit – eine intime, anhaltende Beziehung herzustellen vermag.
„Inarticulate Speech oft he Heart“, die unaussprechliche Sprache des Herzens, hat der irische Blues- und Soulmystiker Van Morrison einmal eines seiner Alben bezeichnet. Peter Fessler hat sich auf die Suche nach dieser Sprache gemacht. Und mit seinem Fesperanto hat er sie für sich gefunden.